© Ulf Müller 2013
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Kasachstan I (26.Mai-05.Juni)

Bevor wir die kasachische Grenze erreichen, erwartet uns noch eine eindrückliche Flussüberquerung bei Krasnyy Yar. Über den Seitenarm der Wolga, den „Reka Buzan“, führt eine etwa 700 m lange Pontonbrücke. Wir sind überglücklich, dass es nicht regnet, denn die Stahlplatten sind auch schon so rutschig genug. Es dürfen immer nur ein Auto oder zwei Motorräder die Brücke passieren. Trotz striktem Filmverbot kann ich ein paar Fotos schiessen und Nevil hat natürlich seine GoPro-Kamera montiert und filmt den ganzen Spass. Nun stehen wir also am Grenzübergang zu Kasachstan und braten in über 40°C Hitze in unserem Motorradanzug. Es geht nur langsam voran und einige Frauen verkaufen Chai Tee. Diese wissen sich besser vor Hitze und Staub zu schützen und verhüllen ihren ganzen Kopf in weisse Tücher. Diese lassen mit ihrem strahlenden Weiss  ihre schwarzen Sonnenbrillen über dem mumienartigen bandagierten Kopf sehr grotesk aussehen. Langsam nähern wir uns dem ersten Posten und wir erhalten unsere Immigration Card zum Ausfüllen. Wir lassen vorsichtshalber einige der zweifelhaften Felder unausgefüllt – ich habe ja bereits in Russland gelernt, dass ein nachträgliches Korrigieren der Angaben nicht zulässig ist und ich will nicht schon wieder die Drinks heute Abend zahlen müssen ;-) Nun geht alles ganz schnell und wir sind in etwas über einer Stunde durch den Zoll und Passportcontrol. Wow, das war ja leichter als gedacht! Nun noch Geld wechseln und eine Haftpflichtversicherung für unsere Motorräder kaufen und es geht los in Richtung Atyrau. Wir fahren lange Zeit am Kaspischen Meer entlang, wobei wir aber so weit entfernt sind, dass wir kein Wasser zu Gesicht bekommen. Wir spüren lediglich den starken Seewind, welcher vom Meer über die glühend heissen Landmassen strömt. Wir müssen unsere Motorräder stark zur Seite neigen, damit wir geradeaus fahren. Nach ein paar Stunden habe ich dann auch alle möglichen Sitzpositionen und Kopfhaltungen ausprobiert, welche die Nacken- und Rückenmuskulatur am wenigsten beanspruchen – eine gute Lösung dafür gibt es allerdings nicht. Ich sehne mich nach einer Massage und einem kühlen Bier. Es wird sich jedoch keiner dieser Wünsche erfüllen. Naja, warmes Wasser aus unseren Trinkflaschen erfüllt auch seinen Zweck – es muss ja nicht schmecken, sondern dem Körper nur die ausgeschwitzte Flüssigkeit zurückgeben. Es ist übrigens erstaunlich, wie der heisse Fahrtwind einem die Kehle austrocknet und es platzen mir fast die Lippen auf, weil sie so trocken sind.  Man müsste ein Kamel sein, dann hätte man andere Sorgen. Als ich mich in diesen Gedanken verliere, sehe ich ein Kamel zur Rechten neben unserer Strasse. Oh je, jetzt habe ich schon Halluzinationen und es wird Zeit für einen weiteren Schluck Wasser. Aber momentmal…das ist ja wirklich ein Kamel! Wir halten sofort an und fotografieren stolz unsere Motorräder mit diesem tollen Tier. Wir haben es tatsächlich geschafft, aus dem kalten Canada und der kalten Schweiz, unsere Motorräder an einen Ort zu fahren, an dem Kamele leben. In den nächsten Tagen werden wir noch viele Kamele sehen. Der Strassenzustand in Kasachstan würde ein eigenes Kapitel füllen, wenn man ihn detailliert beschreiben möchte. So versuche ich mich kurz zu halten. Es scheint so, als würden alle Hauptverkehrsstrassen in diesem Land gleichzeitig ausgebaut werden und so gehören die Strassenbaustellen zum täglichen Bild unserer Reise. Das sieht dann immer ungefähr so aus: die Strasse wird merklich schlechter, am Horizont sieht man bereits die Strassensperrung und die „Umleitung“ nach links oder rechts. Diese Umleitungen sind meist zur gesperrten Strasse parallel geführte Dirt Roads, die unsere Motorräder und uns selbst im Nu verstauben lassen und wir können kaum durch die Visiere unserer Helme blicken. Der Staub ist überall, wirklich überall. Besonders toll ist es, wenn man hinter Lastwagen herfährt, dann ist man manchmal so in einer Staubwolke eingehüllt, dass man anhalten muss, weil man nicht einmal seinen eigenen Motorradlenker mehr sehen kann. Tja, und so geht es dann den ganzen Tag hin und her zwischen alten Strassen, Umleitungen und neu asphaltierten Strassen in bester Qualität. So wird einem jedenfalls nicht langweilig… Unser nächstes Fernziel ist die Stadt Aktobe. Entgegen der ursprünglichen Planung entscheiden wir uns, einen 500 km langen Umweg über Uralsk (Oral) zu nehmen, nachdem uns am Vorabend ein Ortskundiger von der direkten Verbindungsstrasse abgeraten hat. Sie sei schier unpassierbar und gefährlich. Man darf sich hier generell nicht von den Linien auf der Landkarte täuschen lassen, welche den Eindruck einer gut ausgebauten Strasse machen. Oftmals sind das Dirt Roads mit viel Sand. So versuchen wir an jedem Ort Kontakt zu Einheimischen, Reisenden oder Truckfahrern zu suchen, um an Informationen bezüglichen des Strassenzustands sowie bezüglich Polizeikontrollen zu gelangen. Wildpferde! Wow, direkt neben mir galoppiert eine Herde wilder Pferde parallel zur Strasse. Ich gebe mächtig Gas, um mir einen Vorsprung herauszufahren, bremse abrupt ab, greife zu meiner Kamera und kann die Herde gerade noch fotografieren. Es sind so schöne Tiere und insbesondere die Fohlen sind so schön anzusehen. Anderenorts sehen wir Pferdeherden in der Steppe, die ihre Köpfe zusammenstecken und so fächerartig einen Kreis bilden. Sie spenden sich gegenseitig Schatten und die Kleinen liegen unter ihnen und geniessen den perfekten Sonnenschutz. Wenn eine solche Herde dann die Strasse überquert, laufen die Kleinen immer im Schutz ihrer Mutter und wagen keinen falschen Schritt im Alleingang. Ich bin fasziniert – eigentlich sollte man auf einem Pferd um die Welt reiten! In Uralsk versuchen wir mit Hilfe meines GPS-Gerätes ein Hotel zu finden, aber es gibt keine POI’s (point of interests) in meiner Karte, welche auf ein Hotel hindeuten. Als wir planlos in der Stadt am Strassenrand stehen und versuchen mit zwei jungen Männern zu kommunizieren, hält ein weisser Toyota Land Cruiser an und der Beifahrer fragt uns, was wir suchen. Er sagt, wir sollen ihm folgen und nach ein paar Minuten stehen wir vor dem besten Hotel der Stadt. Ein anderes wisse er nicht und wir seien ja nicht so weit gereist, um in einem schlechten Hotel zu übernachten. Da wir müde sind und wieder einmal sehr erfreut sind, dass dieses Hotel einen bewachten Parkplatz bietet, checken wir ein. Während Nevil die Formalitäten erledigt, bewache ich die Bikes und unterhalte mich mit Händen und Füssen mit zwei kleinen Jungs, die stolz sind, was sie hier gerade erleben dürfen. Sie schenken mir eine 20 Tenghe-Münze und ich revanchiere mich mit einem ½ Schweizer Franken. Die Jungs haben wohl gerade das Geschäft ihres jungen Lebens gemacht. Sie fragen, ob ich hungrig bin und sie könnten mir etwas zu essen besorgen. Ich bedanke mich für ihre Gastfreundschaft, aber lehne ab, da wir nun unser Hotelzimmer beziehen wollen. Gute Jungs! Der nächste Tag gestaltet sich sehr monoton. Blick nach vorn: gerade Strasse bis zum Horizont; Blick nach hinten: gerade Strasse bis zum Horizont; Blick nach rechts: Steppe bis zum Horizont; Blick nach links: eine Stromleitung und dahinter Steppe bis zum Horizont. 600 km kasachische Steppe soweit das Auge reicht. Als wir spät in Aktobe ankommen, nehmen wir ein mittelprächtiges Hotel und treffen Erkki aus Finnland, der mit seiner BMW 1200 GS unterwegs ist. Wir haben ihn bereits am Abend zuvor im Hotel in Uralsk getroffen. Die Welt ist klein. Ich verbringe einige Zeit damit, mich mit der Rezeptionsdame zu unterhalten. Saltanat spricht passables Englisch und ist sehr freundlich und hilfsbereit. Nachdem sie einige Telefonate gemacht hat, habe ich detaillierte Informationen, wo wir die Migration Police finden können und wie die Öffnungszeiten sind. Wir müssen nämlich dringend unsere Pässe in Kazakhstan registrieren lassen, ansonsten drohen saftige Strafen oder Gefängnisaufenthalt bei der Ausreise. An nächsten Tag kommen wir wegen dieses Prozesses erst spät los, aber schaffen es dann doch bis zur Stadt Kyzylorda. Ich bin müde, denn ich verweilte noch bis nach Mitternacht in der Hotellobby mit einer Gruppe von kasachischen Lehrerrinnen, welche auf eine Fortbildung in der Stadt machen. Eine von ihnen ist so froh, dass sie jemanden zum englisch sprechen hat, dass sie mich kaum gehen lassen will. Die anderen Damen verstehen leider nichts, sodass sie zwischendurch immer wieder in beide Sprachrichtungen übersetzt, denn die Damen haben natürlich auch viele Fragen an mich. Die beiden älteren Damen sind so lustig und als wir ein Gruppenfoto machen, müssen wir dies einige Male wiederholen, da sie sich jedes Mal vor Lachen krümmen. Bevor wir allerdings Kyzylorda erreichen, fahren wir am bekannten Aral-See und der Stadt Aralsk vorbei. Da wir spät dran sind und ich Probleme mit meinem Motorrad habe, entscheiden wir uns gegen die 10 km lange Tour, um den ausgetrockneten See zu besichtigen. Offensichtlich sind auch nicht mehr die auf dem ehemaligen Ufer oder Seegrund liegenden Fischerboote zu sehen – diese sind wohl kürzlich entfernt worden. Ich habe Bilder aus dem Fernsehen davon in meinem Kopf, also fahren wir weiter. Übrigens, 200 km vorher haben wir an einem Rastplatz an der Strasse eine aufgebockte Motoryacht gesehen, die den Eindruck machte, als würde jemand darin leben. Jetzt dämmert es mir langsam, warum eine Motoryacht mitten in der kasachischen Steppe steht. Wenn ich schreibe, dass ich Probleme mit dem Motorrad habe, dann meine ich folgendes: der Motor ruckelt und nimmt in gewissen Drehzahlbereichen kein Gas mehr an. Gleichzeitig steigt mein Benzinverbrauch erheblich an und es kommt schwarzer Qualm aus dem Auspuff. Wir malen uns schon schlimmste Vergaserprobleme aus, als ich den total verdreckten Luftfilter reinige und das Problem damit beheben kann. Es ist unglaublich, dass sich dieser so schnell bei meiner XT zusetzt. Wir hatten ja nur vielleicht 50 km Dirt Roads mit viel Staub. Es ist ein grosses Problem an meinem Motorrad, denn spätestens in der Mongolei werden wir für drei Wochen diese Reisebedingungen haben. Momentan muss ich jeden Abend den Filter reinigen, bzw. die Filterskins, die ich darüber gezogen habe, denn ich habe nur einen nicht auswaschbaren Papierluftfilter. Es muss ein anderer Filter her, aber diesen werde ich hier nicht finden. Zuhause habe ich schon stundenlang nach einem besseren Filter gesucht und nichts gefunden. Naja, irgendwie wird sich auch das Problem lösen. Wer kennt es nicht, das berühmte Baikonur Cosmodrome der Russen? Der ehemalige Stolz des Weltraumprogramms der Russen liegt nun auf kasachischem Gebiet und ist bis zum Jahr 2050 von Russland gepachtet worden. Sie zahlen jedes Jahr dafür 115 Millionen Dollar Pacht. Es ist immerhin der grösste Weltraumbahnhof der Welt. Kasachstan ist eine junge Republik, welche 1991 nach dem Zerfall der Sowjetunion gegründet wurde. Nein, wir sehen keinen Raketenstart, aber es ist ein seltsames Gefühl an diesem Ort zu sein, den man nur aus dem Fernsehen kennt. Und immer noch wird diese Station von den Russen kontrolliert und es arbeiten viele Russen dort – woran auch immer. Wir wollen keine Schwierigkeiten bekommen und nähern uns nicht weiter dem Sperrgebiet. Einige schnelle unauffällig geschossene Fotos aus der Ferne müssen reichen. In Kyzlorda  betreten wir ein unscheinbares Haus und stehen plötzlich in einem sehr modernen und geschmackvoll eingerichteten Restaurant. Wir geniessen das gute Essen und am nächsten Morgen ein reichhaltiges Frühstück. Es geht in einer Zweitagesreise über Taraz bis nach Almaty (Alma Ata). Almaty war bis vor sechs Jahren die Hauptstadt Kasachstans, bevor diese nach Aqmola, dem heutigen Astana, verlegt wurde. Je näher wir uns Almaty und den Bergen nähern, welche die Grenze zu Kyrgystan bilden, desto kühler wird es. Eine willkommene Abwechslung für uns. Leider regnet es aber auch zwischendurch, aber das kennen wir ja bereits aus Europa. Die Berge erinnern ein wenig an die ferne Heimat und das erste Mal auf dieser Reise vermisse ich für einen Moment lang die Schweizer Berge. Wir stellen mit Erstaunen fest, dass wir uns einige hundert Kilometer auf der berühmten Seidenstrasse bewegen. Hier sind also dereinst Karawanen durchgekommen, um ihre Güter und Lehren von Ost nach West und umgekehrt zu transportieren. Im Hotel Saraichik in Almaty legen wir schliesslich drei Tage Pause ein, nachdem wir die Nacht zuvor in einem sehr abgewrackten Hotel in Taraz übernachtet haben. Das Hotel Saraichik ist jenes Hotel, auf dessen Parkplatz Andy’s Motorrad vor zweieinhalb Wochen abgebrannt ist. Er hat es einem der Fahrer gegeben und ich hoffe, dass dieser evtl. noch die Ersatzreifen besitzt, um sie mir zu verkaufen. Leider stellt sich jedoch heraus, dass er bereits alles veräussert hat, was ihm natürlich niemand verübelt, wenn man bedenkt, dass er davon einige Monate seine Familie ernähren kann. Trotzdem schade, denn was ein einfacher Weg gewesen, an Reifen zu kommen. So machen wir uns also am nächsten Morgen auf zu einer Konsulat- und Shoppingtour durch Almaty. Zunächst besuchen wir das Konsulat der Mongolei und beantragen unsere Visa. Drei Stunden später halten wir unsere Pässe mit einem dreissig Tage gültigen Touristenvisum in der Hand. Das ging so schnell und unkompliziert, wie wir es bereits in den Reiseforen gelesen hatten. Die Wartezeit überbrückten wir mit dem Kauf von zwei Hinterreifen und einem Highflow-Luftfilter inkl. Filteröl. Natürlich passt der nicht an mein Motorrad, aber ich werde bei Gelegenheit dieses Fremdprodukt zuschneiden und versuchen in den Rahmen meines Papierluftfilters zu kleben. Ich kaufe auch noch neue dünne Handschuhe, die ich als Ersatz mitführen werde. Meine (zwei Monate alten) Handschuhe weisen erste Verschleissspuren auf und sind von mir bereits zweimal genäht worden. Die Belastung für Motorrad und Ausrüstung auf so einer Tour ist enorm, obwohl wir den harten Teil erst noch vor uns haben. Am Nachmittag besuchen wir die Motorradwerkstatt “MCC Motorcycles”, welche einen guten Ruf hat und in den Foren empfohlen wird. Es ist nicht einfach, an eine Motorradwerkstatt oder Teile zu gelangen, denn Motorräder gibt es hier praktisch keine. Es ist nur ein sehr kleiner Kreis von Personen, die ein Motorrad besitzen. Wir machen also einen dringend notwendigen Ölwechsel, ich reinige meinen Luftfilter und der Mechaniker reinigt und ölt unsere Ketten neu. An Nevil‘s Suzuki kommt ein neuer Hinterreifen; für meine Yamaha werde ich den zuvor gekauften Reifen noch gute 3000 km transportieren, bis mein jetziger verschlissen ist. Das bedeutet, dass ich für diese Distanz drei Reifen zu transportieren habe! Unsere guten heimischen Offroadreifen sparen wir uns für die Mongolei auf. Dies war also ein sehr produktiver Tag, der Mensch und Maschine gut tut. Wir entschieden uns, nochmals unseren Aufenthalt in diesem sehr schönen Hotel zu verlängert, denn wir wollen morgen den Charyn Canyon besuchen und unser schweres Gepäck hierlassen. Als am nächsten Morgen jedoch das Wetter schlecht ist und wir ausserdem noch unsere Blogs schreiben müssen, um endlich mal wieder die Webseite zu aktualisieren, ändern wir unsere Pläne und bleiben faul im Hotel mit dem Laptop auf dem Schoss. Wir haben sehr nette Gespräche mit den Mitarbeitern der Rezeption und der Bar. Insbesondere Anara hilft uns bereits schon die ganzen Tage über mit wertvollen Tipps, hat ihren Job voll im Griff und sorgt dafür, dass es uns an nichts fehlt. Sie ist eine tolle und aufgeschlossene Gesprächspartnerin und sehr interessiert, an dem was wir zu berichten haben. Danke Anara, ich werde mich immer daran erinnern! Wenn dann ihre Nachtschicht im Hotel vorbei ist, geht sie zur Universität und macht ihr Studium – Respekt. Auch die 21-jährige Gulsim will es bald ähnlich machen und ihr Studium beginnen. Danach möchte sie reisen und die Welt erforschen, so wie wir es tun. Nicht unbedingt auf dem Motorrad, obwohl sie auf meinem Motorrad bereits jetzt eine gute Figur macht und fröhlich in die Linse meiner Kamera lächelt. Auch sie ist so ein Sonnenschein! Wenn man irgendwo länger als einen Tag bleibt, dann fällt es schon manchmal ein wenig schwer, wieder abzureisen. Man baut nette Kontakte auf und hat noch so viele Fragen an die liebenswürdigen Menschen hier. Meine derzeitige Theorie: je weiter man von Europa nach Osten, also nach Asien kommt, desto freundlicher sind die Menschen. Jaja, ich weiss, das ist jetzt sehr pauschal formuliert und Ausnahmen gibt es immer. Wir posieren noch für ein Foto mit unseren Motorrädern vor dem Hotel, welches dann einen Ehrenplatz an der Wand der Hotellobby bekommen wird. Und schon wieder sind wir Stars ;-) Morgen werden wir nach Nordwesten aufbrechen und unsere 2000 km lange Reise via Karagandy nach Astana fortsetzen. Wir fahren eine ganz schöne Zickzacklinie durch Kasachstan, aber so sehen wir viel vom neuntgrössten Land der Erde und schliesslich folgen wir nur dem Verlauf der Hauptstrassen. Schaut euch Kasachstan mal auf der Weltkarte an – es ist riesig! Wir hoffen, nicht allzu oft von der Polizei angehalten zu werden. Die sind korrupt von Kopf bis Fuss und wollten zweimal bei uns abkassieren. Der erste Polizist wollte 100 USD von uns, weil wir zu schnell gefahren seien. Dabei waren nicht einmal Batterien in seinem Radarmessgerät. Nach einigen Diskussionen und der Drohung seine Dienstmarke zu fotografieren und ein paar offizielle klingende Anrufe zu machen, liessen sie uns dann ziehen. Beim zweiten Mal schien die Radarmessung in Ordnung zu sein und ich sollte wieder 100 USD zahlen. Das scheint der Standardpreis für alle Vergehen zu sein. Als ich ihm erklärte, dass ich keine Dollars habe, sank der Preis auf 2000 kasachische Tenghe, was ungefähr 10 EUR entspricht. Ich zahlte und weg waren wir. Was für Arschlöcher. Ich hoffe wir haben morgen mehr Glück und werden nicht kontrolliert. Wir haben uns aber bereits mit einer ganz ausgeklügelten Masche gerüstet, sollten wir doch in eine Kontrolle kommen. Mehr dazu verrate ich erst, wenn diese zum Einsatz kommt.

Kasachstan II (05.-09.Juni)

Nachdem am Morgen endlich unsere Motorräder wieder voll bepackt sind und ich eine Lösung für den Transport meiner drei Reifen gefunden habe, machen wir mit Anara und Gulsim nochmals eine Fotosession vor dem Hotel. Wir wollen den beiden noch ein Trinkgeld für die aussergewöhnliche Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft zustecken, aber sie lehnen es so hartnäckig ab, dass wir aufgeben müssen. Wir geben ihnen jedoch ein paar kleinere persönliche Dinge, über die sich sehr freuen. Und schon sind wir wieder mitten im Grossstadtverkehr zwischen hupenden Autos, qualmenden Lastwagen und geschäftstüchtigen Verkäufern. Fast sind wir aus dem Dschungel raus, als ich Nevil in meinem Rückspiegel vermisse. Ich halte an und warte ein paar Minuten. Als dann nicht auftaucht, mache ich mir Sorgen und suche nach einer Möglichkeit umzudrehen und ihm entgegen zu fahren. Unmöglich. Drei Spuren in eine Richtung, vier Spuren in die andere – die Strasse ist riesig und total verstopft mit Autos. Ich kann auch nicht zu Fuss zurücklaufen, da ich mein Motorrad unmöglich hier alleine stehen lassen kann. So warte ich, bis er dann endlich kommt. Er ist ausser sich vor Wut und ruft bereits im Heranrollen „get out of this fucking city!“. Was ist passiert? Er ist von einem Autofahrer gerammt worden, obwohl ihn der Fahrer gesehen hat, hat er nicht gebremst und ist ihm voll in den rechten Seitenkoffer gefahren. Als Nevil dann zur linken Seite umfiel hat ihn der Fahrer nur kurz angeschaut und ist weitergefahren. Niemand half ihm seine Maschine aufzuheben und ich frage mich, wie er das überhaupt alleine geschafft hat. Hier also eine Ausnahme zu den viel gelobten freundlichen Menschen. Der Seitenkoffer ist verbeult und auf der Seite des Trägers eingedrückt, der Träger ist verbogen, die Zusatzlampe an der Frontscheide ist abgerissen, der linke Koffer so vom Asphalt abgeschabt, dass dieser nicht mehr wasserdicht sein wird. Er selbst hat Schmerzen an Beinen, Armen und Rücken, die ihn noch einige Tage und vielleicht Wochen begleiten werden. Als wir dann der Polizei alles schildern, und wir ihnen das geistesgegenwärtig notierte Fahrzeugkennzeichen des Unfallverursachers mitteilen, sind die Beamten relativ desinteressiert und langem Warten bekommen wir die Fahrzeughalterdaten aus dem Polizeicomputer auf einem Zettel überreicht. Und jetzt? Jetzt haben die Beamten wichtigeres zu tun, nämlich willkürliche Fahrzeugkontrollen durchzuführen und ein bisschen Bargeld abzocken. Unfälle aufzuklären, bringt halt kein Geld in die Kasse. Da wir wissen, dass dies hier zu nichts führen wird, fahren wir wütend weiter und sind endlich raus aus dem Stadtverkehr. Wir haben eine ganz ordentliche Strasse nach Karaganda und kommen gut voran. Es sind aber über 1000 km, sodass wir uns in einem billigen Motel in Balquash einquartieren. Wir können unsere Zimmertür nur von innen abschliessen und für die Dusche auf dem Gang hätten wir extra bezahlen müssen. Wir investieren das gesparte Geld lieber in ein Bier, schliesslich wollten wir ursprünglich campen und hätten dann auch keine Dusche gehabt. Wir haben nämlich leider keinen geeigneten Platz zum campen am Lake Balkash -400 km lang und 50 km breit- gefunden, der unseren Ansprüchen genügte. Unsere Ansprüche waren: zugänglich mit den Motorrädern und ausser Sichtweite der Hauptstrasse. Das ist ein echtes Problem, wenn man nicht mal einen einzigen Baum am Horizont sehen kann, an den man pinkeln könnte ;-) Wie soll man da zwei Zelte und zwei Motorräder verstecken? Hinter Karaganda, auf dem Weg nach Astana, ist Nevil plötzlich wieder verschwunden. Als ich zurückfahre und ihn erreiche, ist er gerade dabei, sein Motorrad auseinanderzunehmen. Die Elektrik hat einen Schaden – nichts geht mehr. Vielleicht eine Spätfolge von dem Sturz gestern. Er tauscht einen verschmorten Stecker aus, aber es funktioniert nicht. Wir denken, es ist der Gleichrichter oder gar das Zündschloss. Es muss ein Mechaniker oder Elektriker mit Messgerät her. Nevil’s Multimeter können wir nämlich nur noch für wenige Minuten reanimieren, bis es im Schrott landet…es ist wohl auch beschädigt durch den Crash. Wir treffen Ramil. Er ist mit seinem Fahrrad unterwegs von Aserbaidschan bis nach Japan. Er ist der Erste in seinem Land, der soweit mit dem Rad fährt. Er hat alles dabei, was er braucht und ich kann es kaum fassen, wie wenig Gepäck er mitführt. Er schenkt uns je eine Aprikose und ein karamellgefüllten Keks – für so etwas hat er Platz in seiner Tasche; jetzt staune ich umso mehr. Am Heck seines Bikes hat er eine Fahnenstange befestigt, an dem stolz die Flagge seines Heimatlandes weht. Direkt darunter präsentiert sich die Flagge von Kasachstan – dem aktuellen Gastland. Ramil will mit seiner Tour auf die vielen bewaffneten Konflikte in seiner Heimat aufmerksam machen und wünscht sich, dass die Völker sich friedlich verständigen. Er ist ein toller Typ: sympathisch vom ersten Augenblick an, voller Lebensfreude und sein Körper gestählt vom Radfahren bei Wind und Wetter. Wir werden auf unseren Motorrädern oft bewundert, aber die eigentlichen Helden unter den Reisenden sind Menschen wie er. Wir tauschen E-Mailadressen aus und nach einer Stunde fährt er weiter. Alles Gute für dich, mein Freund! An uns saust eine schwarze Yamaha R1 vorbei. Nach wenigen Minuten kommt sie zurück und das ist der Anfang einer weiteren tollen Hilfsaktion anderer Biker und Menschen. Unter dem sauberen ebenfalls schwarzen Lederkombi tritt Alex hervor, der ein paar Anrufe macht. Dann muss er los; ist zum Essen verabredet und bekommt sicher jetzt schön Ärger weil er zu spät kommt. Wir sollen warten, es kommt bald jemand. Nach einer halben Stunde fährt Vitali mit einer blonden frau auf dem Soziussitz seiner grünen Kawasaki Ninja vor. Er telefoniert wiederum und nach einer Dreiviertelstunde haben wir einen Abschleppdienst bei uns, der Nevil’s Motorrad auflädt. Während ich dem Verladen zuschaue, lese ich eine SMS auf meinem Handy, die mich erstarren lässt. Mein Tag ist gelaufen, die nächsten Tage auch. Ob ich in diesem Blog irgendwann darüber schreiben werde, ist sehr ungewiss – ich denke nicht. Jedenfalls geht’s mir schlecht. So schlecht, dass ich dem Abschleppwagen die 40 Kilometer zurück in die Stadt nur mit Mühe folgen kann. Gut, dass ich einen Helm aufhabe, unter dem mich niemand sieht und hört. In der Autowerkstatt angekommen, dauert es nicht lange, bis Vitali wieder auftaucht. Diesmal kommt er in seinem Auto und anstatt der Blondine von vorher steigt ein zwölfjähriges Mädchen aus dem Auto. Er hat seine Tochter Uljana mitgebracht, die von nun an den Reparaturprozess als Dolmetscherin begleiten wird. Sie spricht erstaunlich gut Englisch und Nevil hat Freude an ihrem britischen Akzent. Der Autoelektriker -man möge mir verzeihen, ich habe seinen Namen vergessen- macht einen gute Job. Schliesslich ist er auch ein Motorradfreak und weiss, wonach er zu suchen hat. Wir lassen das Öl ab, öffnen den linken Seitendeckel und schauen, ob der Generator in Ordnung ist. Die Wicklungen sehen gut aus und die Fehlersuche geht weiter. Der Gleichrichter ist tatsächlich das Problem. Unser elektrischer Freund und Kostja setzen sich ins Auto und nach einer halben Stunde sind sie mit einem gebrauchten Gleichrichter einer Suzuki GXR 600 zurück. Sie betreiben nebenbei einen eBay- Shop für gebrauchte Motorradteile – Glück muss man haben! Nach erfolgter Reparatur fahren uns die beiden zu einem Hotel und laden uns zum Abendessen ein. Warum nicht wir diejenigen sind, die sie einladen? Wir haben es ja versucht, aber wollen wir wirklich mit zwei Männern Streit anfangen, weil sie uns und nicht wir sie einladen wollen? Nein, lieber danke sagen. Danke, Jungs! Am Morgen geht es nach Norden, bis wir Astana erreichen. Wir umfahren die Stadt und biegen nach Osten ab. Nach einem Tankstopp fahren wir gerade wieder auf die Strasse, als wir etwas entgegenkommen sehen, was nach einer BMW 1200 GSA aussieht. Richtig erkannt – wir halten alle sofort an und lernen Rudi aus Düsseldorf kennen. Er gibt uns einige wertvolle Informationen über die Strassenzustände in der Mongolei. Er selbst hat sein Motorrad auf der Ladefläche eines Lastwagens von Ulaanbaatar 3000 km auf der Nordroute bis an die russische Grenze transportieren lassen. Grund dafür war ein Schneesturm, in den er geriet und es war an kein Weiterkommen zu denken. Puh, das ist genau die Route, welche wir nehmen wollen. Mit einem mulmigen Gefühl verabschieden wir uns in entgegengesetzte Richtungen. Über Pavlodar erreichen wir Semey und das GPS führt uns in Hotel „Nomad“, welches wohl schon öfter von Motorrad-Weltreisenden besucht wurde. Vielleicht verleitet der Hotelname den einen oder anderen Nomaden zu einem Besuch. Die Stadt Semey hiess früher „Semipalatinsk“. Vor sechs Jahren wurde der Name geändert, da der alte Name immer mit dem ca. 100 km entfernten Atomwaffentestgelände in Verbindung gebracht wurde. Hier war dereinst von 1949 bis 1989 das weltgrösste Testgelände für Atomwaffen. Scheinbar wurde bis vor ein paar Jahren in dieser Region immer noch fast die Hälfte aller Kinder mit einer Behinderung geboren. Die Region erlebte einen radioaktiven Fallout, welcher 20‘000 Hiroshima-Bomben entspricht. Dass Nevil rückblickend seit unserem Besuch in dieser Stadt seit drei Tagen an Magenkrämpfen und Durchfall leidet, erzeugt bei mir unter diesem Aspekt irgendwie ein komisches Gefühl. Nichts wie weg. Mein Fazit für Kasachstan ist, dass es ein wunderbares Land ist. Die Landschaft mag ein wenig eintönig sein, wenn man auf einer Tagesreise immer das gleiche Bild vor Augen hat, aber von Tag zu Tag wechselt die Landschaft und der Süden ist ganz anders als der Norden und wiederum anders ist der Osten. Der Norden oder Nordwesten ist gekennzeichnet durch wüsten- und steppenartige Landstriche mit entsprechend hohen Temperaturen von über 40° anfangs Juni. Der Südosten, insbesondere wenn man sich Almaty nähert, ist klimatisch angenehmer und man sieht die schneebedeckten Bergketten im Süden des Landes. Es sind aber immerhin noch angenehme 28°C, wobei es oft bewölkt ist und ab und zu regnet. Der Osten hat uns sehr überrascht, als wir plötzlich einzelne Bäume sahen, die sich im Laufe einer Halbtagesreise zu kleineren Pinienwäldern verdichteten. Kasachstan hat also doch Bäume – das ist der Beweis. Der Duft der Pinien erinnert mich an die Sommerferien meiner Kindheit. Ich liebe diesen Duft und wollte einige Male eine Pause einlegen und unter den Pinien einen Mittagsschlaf halten. Kasachstan ist ein Land der Gegensätze. Es ist wohl grösstenteils eher karg und dünn besiedelt. Man sagt, dass die Mongolei das Land ohne Zäune sei, aber ich erlebe das bereits hier so. Mehrmals täglich kreuzten Herden von Wildpferden, Kühen, Schafen und alles möglich andere Getier unsere Fahrbahn; teils mit einem berittenen Schäfer, grösstenteils jedoch ganz alleine und völlig frei. Die grossen Städte hingegen sind wie überall auf dieser Welt: hektisch und modern. Die Menschen, die wir treffen und kennenlernen durften, sind grossartig! Sie sind so hilfsbereit und freundlich, dass ich enttäuscht von dem nicht sehr gastfreundlichen Verhalten der Menschen z.B. in Deutschland oder der Schweiz bin. Viele von uns könnten hier so einiges lernen, da bin ich mir sicher. Und sicher ist auch, dass die meisten Menschen, die noch nie hier waren, ein völlig falsches Bild von diesem Land haben. Kasachstan – ich komme irgendwann wieder und es ist schön zu wissen, dass es hier Freunde gibt, die einen jederzeit willkommen heissen!

Russland (10.-23.Juni)

Wir passieren ohne grosse Zwischenfälle und relativ zügig die Grenze nach Russland. Wahrscheinlich hilft es, wenn man schon einen Ein- und Ausreisestempel von Russland im Pass hat. In Barnaul angekommen, finden wir ein einfaches Hotel zu vernünftigen Preisen. Die Motorräder werden im Hinterhof abgestellt, angekettet und mit unseren Planen vor neugierigen Blicken geschützt. Ich schleppe mein komplettes Gepäck auf unser Zimmer in der dritten Etage. Ich traue diesem Ort nicht so ganz und da wir zwei Nächte bleiben wollen, nehme ich diese Schwerstarbeit in Kauf. Dabei zerre ich mir fast einen Muskel, denn ich bin ja so stark, dass ich lieber links und rechts einen Motorradkoffer trage als zweimal zu laufen… Oh je, was mute ich da eigentlich jeden Tag meinem armen Motorrad zu? Mein kleiner Lastesel tut mir ehrlich leid und es ist ein Wunder, dass die Schweissnähte der Gepäckträger noch nicht gebrochen sind. Nevil braucht etwas Erholung für seinen Rücken und seinen Magen. Während ich also mein Gepäck schleppe, macht er die Bekanntschaft mit Stanislav. Als ich wieder auf die Strasse komme, ist Stanislav verschwunden. Bald taucht er jedoch wieder auf und überreicht Nevil eine Tüte mit frischem Obst und will natürlich kein Geld dafür haben. Wir tauschen aber wenigstens die E-Mailadressen aus. Am gleichen Abend meldet er sich per Mail bei Nevil und wir vereinbaren, dass er uns am nächsten Vormittag abholt und uns durch die Stadt chauffiert, um ein paar Motorradgaragen und andere Geschäfte abzuklappern. Er steht dann auch pünktlich vor unserem Hotel und erwartet uns. Wir fahren viermal durch die ganze Stadt – in Zickzacklinie von einer Hinterhofgarage zur nächsten. Wir suchen noch einen weiteren Gleichrichter für Nevil’s Suzuki, da er gerne einen in Reserve hätte, falls dieser wieder den Geist aufgibt. In einer kleinen Motorradwerkstatt finden wir dann auch einen und ausserdem entdecke ich ein Gurtzeug von einem Gleitschirm und zugehörigem Motor in einer Ecke der Garage. Es stellt sich heraus, dass der Besitzer damit im Altaigebirge fliegen geht. Wir zeigen uns gegenseitig stolz jeweils unsere Gleitschirmfotos auf unseren Handys und freuen uns, neben dem Motorradfahren eine weitere Gemeinsamkeit zu haben; auch wenn dies bei mir schon eine Weile her ist. Nachdem Stanislav uns wieder ins Hotel gebracht hat, verabreden wir uns zum Abendessen und werden zwei Stunden später von seiner hübschen Freundin Irina abgeholt. Sie fährt wie der Teufel durch die Stadt – ja sie kann Auto fahren, würde aber in Westeuropa nicht lange ihren Führerschein behalten. Wir gehen ins Restaurant „Gans“ – eine Kopie eines bayerischen Restaurants, aber irgendwie besser! Anstatt blau-weiss ist hier alles rot-weiss, ansonsten gibt es Erdinger Weissbier, Würste, Sauerkraut und alles was zu einem bayerischen Abend dazugehört. Wir entscheiden uns jedoch für einen gigantischen Fleischspiess, der von bayerischen…äh russischen… Mädels serviert wird. Wir ahnen bereits jetzt, dass unser neuer Freund nicht akzeptieren wird, uns diese Mahlzeit bezahlen zu lassen. Nach einem lustigen Abend bringt er uns noch zu Fuss zu unserem Hotel zurück. Wir entscheiden, noch eine weitere Nacht zu bleiben und verabreden uns mit Stanislav für den nächsten Morgen. Das wird dann ein sehr teurer Morgen, denn Nevil ersteht ein neues Garmin Navigationsgerät, nachdem er in drei Etappen den Bancomaten des Shoppingcenters geplündert hat. Es geht weiterüber Biysk bis hinter Gorno-Altaysk, wo wir ein schönes kleines familiäres Hotel am Rande des Altaigebirges finden. Wir sind froh, unsere nasse Motorradkleidung über Nacht trocknen zu lassen. Wir haben nun endgültig die Entscheidung getroffen, dass wir von unserer ursprünglichen Planung, nämlich im Altai in die Mongolei einzureisen, absehen werden. Eigentlich wollten wir von hier aus die Nordroute durch die Mongolei bis Ulaanbaatar nehmen. Da die Regenzeit jedoch in diesem Sommer zwei bis drei Wochen länger dauert, sind die Wege (nein, es gibt keine asphaltierten Strassen) so aufgeweicht und bilden ein 3000km langes Schlammloch. Das werden wir uns nicht antun, denn wir hätten kaum eine Chance mit unseren schwer beladenen Bikes da hindurch zu kommen. Und drei Wochen auf besseres Wetter warten wollen wir schliesslich auch nicht. So werden wir also noch bis kurz vor die mongolische Grenze fahren, den Altai besser kennenlernen und dann auf gleichem Wege zurück nach Novosibirsk fahren. Wir wollen nicht riskieren, dass wir nach wenigen Kilometern in der Mongolei aufgrund der Wetterverhältnisse wieder zurückfahren müssen. Wir haben nämlich nur ein Visum, welches uns eine einmalige Einreise in die Mongolei erlaubt und das wollen wir nicht „verschwenden“. Als wir am nächsten Tag dann einige hundert Meter an Höhe gewonnen haben und die Strasse immer weiter bergauf führt, macht mir mein Luftfilter wieder einmal Sorgen und ich komme kaum den Berg hinauf. Oben angekommen beraten wir bei einem heissen Kaffee, was wir tun sollen. Schweren Herzens werden wir zurück zum letzten Hotel fahren, dort wieder übernachten und unsere Reise auf russischem Terrain via Novosibirsk nach Osten fortsetzen. Während wir wieder abwärts durch diese wundervolle Berglandschaft fahren und sich diese langsam in eine Hügellandschaft wandelt, bin ich Gedanken versunken und erinnere mich daran, wie ich vor 18 Monaten an einem weit entfernten Strand lag und das Buch „Mein Altai“ des deutschsprachigen mongolischen Schriftstellers und Schamanen Galsan Tschinag las. Ich war so fasziniert von seinen Erzählungen, dass ich immer mal den Altai sehen wollte. Nun bin ich hier….aber leider nicht so mitten drin in der faszinierenden Bergwelt, wie ich mir gewünscht hätte. Es kommt halt meistens anders als man denkt. Ja, das ist wohl das Motto des Monats…oder dieser Reise. Der Altai und die Mongolei waren meine Hauptziele dieser Reise und hier wollte ich viel Zeit verbringen. Ich bin traurig, dass sich dieser Wunsch nicht erfüllen wird. Stattdessen werden wir also durch Russland einige tausend Kilometer entfernt von der Mongolei parallel zur ursprünglichen Route nach Osten fahren, um dann von Ulan-Ude nach Süden in die Mongolei nach Ulaanbaatar zu stechen und diese dann auf gleichem Wege wieder zu verlassen. Dies ist unser Plan; jedenfalls im Moment. Ich nutze den verregneten Nachmittag im Hotel, um im Internet und via Skype eine Lösung für meinen Luftfilter zu finden. Es sieht schlecht aus. Nach stundenlangen intensiven Abklärungen in Russland, der Schweiz und Kanada scheint nur eine Möglichkeit realistisch und ohne wochenlange Wartezeiten: mein Freund Dmitry  fährt noch heute Abend quer durch Moskau, um einen Filter (nicht original, aber ähnlich) zu kaufen und ihn am nächsten Morgen mit DHL nach Irkutsk zu versenden, wo ich diesen in ein paar Tagen abholen kann. Gesagt, getan. Auf Dmitry ist Verlass, er investiert so viel Zeit, um mir zu helfen und am nächsten Morgen habe ich seine Mail mit der DHL-Sendungsnummer. Danke, Dmitry! Abends kommen wir dann vom Stadtverkehr gestresst, in einem Hotel am Rande von Novosibirsk an. Ich glaube es wäre eine schöne Stadt, wenn es keine Autos gäbe, die die Strassen endlos verstopfen. Wir haben ein tolles Zimmer zu einem guten Preis und suchen die Bar nebenan auf. Wir bekommen die ausnahmslos in Russisch geschriebene Getränke- und Speisekarte ausgehändigt, ich schlage willkürlich eine Seite auf und mir springt der Name unseres Lieblingscocktails ins Auge, obwohl es wie gesagt in Russisch geschrieben ist. Wir können es kaum fassen, sie mixen uns einen Margarita!!! Wie lange mussten wir darauf warten! Seit Rumänien haben wir uns bemüht, einen zu bekommen. Einmal hätten wir beinahe eine Pizza bekommen, als wir nach diesem Drink gefragt hatten ;-) Die Bar gefällt mir: es gibt gutes Essen, unseren Cocktail und Bier, einen eigenen DJ und gutes Publikum. Es ist Freitagnacht und ich wäre gerne noch geblieben, bis hier so richtig Stimmung aufkommt. Nach drei Bier siegt aber die Vernunft und es geht zurück ins Hotel zu unserem deutsch sprechenden Nachtwärter, welcher fünf Jahre in Siegen und Bonn gelebt hat. Er verbschiedet uns dann auch am nächsten Morgen mit „viel Glück, es hat mich gefreut,  ihr seid gute Kerle!“. Die darauffolgende Nacht verbringen wir in Mariinsk, einer typischen kleinen sibirischen Stadt. Diesmal können wir beruhigt schlafen, denn unsere Motorräder stehen in der Garage des Hotelbesitzers. Manchmal hören wir aber „Anton“, den Hotel- Kater, miauen. Er möchte gerne in unser Zimmer, aber wir bleiben hart. Unsere nächste Übernachtung ist in einem Motel kurz hinter Krasnoyarsk an der M56, der Strasse nach Irkutsk. Ausser dem Motel, einer Bar, einem Minimarket und einer Tankstelle ist hier nichts – der Ort hat wohl keinen Namen. Auf dem Weg hierher fuhren wir an einigen ausgestopften Bären am Strassenrand vorbei – wer so etwas wohl kauft? Hoffentlich niemand. Ach ja, wir sind jetzt so richtig in Sibirien, da gehören Bären wohl dazu. Nevil kann nur über die Grösse der Bären lachen – ich soll mal abwarten, bis ich nach Kanada komme! Unsere heutige Route und die der nächsten Tage verläuft weitgehend parallel zur berühmten Transsibirischen Eisenbahn. Einige Male können wir die Züge sehen – meist fahren wir schneller als diese. An diversen Bahnübergängen müssen wir warten, bis die unzähligen Waggons der Güterzüge passieren. Bei einem eher kürzeren Zug zähle ich 65 Waggons. Nach einer 620km-Etappe kommen wir in Tulun an – gerade rechtzeitig, denn es ziehen gewaltige Gewitterwolken auf und wir sehen viele Blitze. Es ist wirklich kein gutes Gefühl, im Gewitter auf seinem Motorrad in flacher Landschaft den höchsten Punkt darzustellen. Beim Entladen der Motorräder werden wir dann noch richtig nass. Da das Hotel kein Restaurant hat, werden wir an das Café nebenan verwiesen. Wir steigen in den Keller hinunter und stehen in einem kleinen geschmackvoll eingerichteten Restaurant. Das Essen ist wunderbar. Jedoch fragen wir uns, warum überall rote Plüschherzen herumrumliegen…sind wir in einem Gay Club gelandet? Nevil postet diese Geschichte prompt auf Facebook mit einem Foto von mir und Plüschherz, sodass die Kommentare und Reaktionen der Daheimgebliebenen für den Rest des Abends bei uns für lautes Gelächter sorgen. Nein, es war eine normale Bar. Auch wenn Nevil die nächsten Tage immer wieder die Plüschherzen als Argument anführen wird… Irkutsk ist eine ganz schöne Stadt, in welcher die Irkut in den Angara Fluss fliesst, den einzigen Abfluss des Baikalsees. Wir kommen im bisher teuersten Hotel unserer Reise unter. Dafür liegt das Hotel sehr zentral und hat einen ausgezeichneten bewachten Parkplatz für unsere Motorräder. Ausserdem benötigen wir eine verlässliche WIFI Internetverbindung, da ich am nächsten Morgen auf Suche nach Luftfiltern gehen will. So geschieht es dann auch, dass wir in einer mehr als vierstündigen Taxifahrt gute Beute gemacht haben: einerseits holen wir den K&N-Luftfilter vom DHL-Depot ab, den mir Dmitry aus Moskau geschickt hat und andererseits finden wir schlussendlich in einem Motorradladen zwei passende Papierfilter für mein Bike. Was für ein erfolgreicher Tag! So bleibt uns auch noch der Nachmittag, um mit Adam aus Houston, Texas, die nähere Umgebung zu erkunden und das zu sein, was wir wohl in den Augen der Einheimischen sind: fotografierende Touristen. Mit frisch geladenen Akkus für Foto- und Videokameras brechen wir am nächsten Morgen zum Baikalsee auf. Wir versprechen uns viele schöne Fotoshootings, da die Route der M55 runde 200 Kilometer am Ufer des Baikalsees verläuft. Die Landschaft ist wunderschön, jedoch erhaschen wir auf der ganzen Strecke nur wenige unspektakuläre Blicke auf den Baikalsee. Keiner dieser Blicke ist es wert anzuhalten. Wir sind etwas enttäuscht, denn immer trennt uns ein schmaler Waldstreifen vom Ufer des ältesten und tiefsten Sees der Erde. Was mich jedoch sehr überrascht ist, wie sich die Temperatur innerhalb von wenigen Sekunden ändert, wenn man aus dem Wald kommt, um eine Kurve biegt und plötzlich im Einflussgebiet des Sees ist. Die Temperatur fällt um geschätzte 8 bis 10 Grad ab innerhalb von vielleicht 500 Metern! Wow, das gleiche Phänomen umgekehrt, wenn man zwei Stunden später vom See in Richtung Ulan-Ude im rechten Winkel abbiegt. Wir sind ja schon unzählige Male in unseren Motorradanzügen, völlig verschwitzt und dreckigen Händen in gute Hotels marschiert, aber in diesem Hotel in Ulan-Ude wollte man uns nicht haben. Ok, auf zum nächsten Hotel: das Baikal Plaza. Hier heisst man uns willkommen und trägt unser Gepäck in den vierten Stock. Wir geniessen zwei Nächte mit gutem und durchaus bezahlbarem Service. Das einzig Kuriose an unserem Zimmer: das Telefon hängt im Badezimmer. So müssen wir keine Angst haben, wenn uns einmal das WC-Papier ausgeht – room service please ;-) Wir nutzen die Gelegenheit des längeren Aufenthalts und wechseln unsere Strassenreifen gegen die grobstolligen Profile. Dazu besuchen wir Alexanders Werkstatt und sein Sohn Stas wechselt uns die Reifen. Dort treffen wir den Amerikaner Doug, der seit Tagen auf ein Ersatzteil für seine Kawasaki wartet. Er wohnt bei Alexander und Stas, während sein Motor komplett zerlegt in der Werkstatt nebenan auf das fehlende Teil wartet. Die Jungs wollen natürlich wieder mal kein Geld von uns und so schenke ich Stas eine fast volle Flasche mit Luftfilteröl, die er überglücklich entgegennimmt. Da wir entschieden haben, nur einen Abstecher in die Mongolei zu machen und auf gleichem Wege wieder zurück müssen, lassen wir unsere Strassenreifen und unser Motoröl für den nächsten Ölwechsel im Baikal Plaza. Am späten Nachmittag bleibt noch Zeit für ein paar Fotos in der Stadt. Insbesondere der riesige Lenin-Kopf, wohl die weltgrösste Portraitbüste der Welt, ist einige Fotos wert. Das finden auch die unzähligen Brautpaare, die sich davor ablichten lassen. Irgendwie scheinen heute alle zu heiraten in dieser Stadt. Die Ausreise aus Russland in Kyakhta dauert lange. Leider müssen wir unsere temporäre Importbestätigung für unsere Motorräder abgeben, sodass wir diese in ein paar Tagen auf unserem Rückweg wieder komplett neu ausfüllen müssen. Das Formular hat zwar nur zwei Seiten, aber alles ist natürlich nur in Russisch, sodass dies nicht so einfach ist, wie man vielleicht denken würde. Zum Glück können wir den Zöllner überreden, uns eine Kopie zu machen um ein Muster zu haben, von dem wir später abschreiben können. Selbstverständlich achtet er darauf, dass dieser prozesswidrige Schritt von keiner der Überwachungskameras erfasst wird.  
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